Sozialgericht Frankfurt am Main

Wer muss für die Schulbegleitung eines an Diabetes erkrankten Grundschulkindes aufkommen?

Nr. 01/2025

Krankenkasse und Stadt lehnten eine Schulbegleitung ab

Der 8-jährige Antragsteller leidet an insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ I mit starken Blutzuckerschwankungen. Er ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert und besucht derzeit die zweite Klasse einer Grundschule. Bereits im ersten Schuljahr hatte er bei der zuständigen Stadt Eingliederungsleistungen in Form der Schulbegleitung beantragt, da der Blutzuckerverlauf ständiger Überwachung und ggf. Intervention bedürfe, wozu er aufgrund seines Alters noch nicht in der Lage sei. Die Stadt hatte den Antrag an die Krankenkasse weitergeleitet, die daraufhin die Schulbegleitung einstweilen übernommen hatte. Nunmehr begehrt der Antragsteller die Fortsetzung der Schulbegleitung für das zweite Schuljahr. Die Krankenkasse gewährte lediglich häusliche Krankenpflege in Form von Insulininjektionen 3x täglich und leitete den Antrag zwecks Schulbegleitung an die Stadt weiter. Die Stadt lehnte Eingliederungshilfen ab und sah die Krankenkasse als einstandspflichtig an.

Der Antragsteller verfolgt mit seinem Eilantrag die Übernahme der kontinuierlichen Krankenbeobachtung während des Schulbesuchs durch die Krankenkasse oder die Stadt, da er zur Überwachung seines Blutzuckerverlaufs und ggf. Intervention aufgrund seines Alters weiterhin noch nicht in der Lage sei.

Sozialgericht: Krankenkasse muss für die Krankenpflege während des Schulbesuchs aufkommen

Das Sozialgericht hat die Krankenkasse im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, einstweilen häusliche Krankenpflege in Form der kontinuierlichen Beobachtung und Intervention beim Blutzuckerverlauf an Schultagen bis zu acht Stunden täglich zu gewähren. Es hat ausgeführt, dass die begehrte Krankenbeobachtung in Form der Schulbegleitung der Versorgung der beim Antragsteller unstreitig vorliegenden Erkrankung diene. Insoweit genüge die Gewährung regelmäßiger Blutzuckermessungen und Insulingaben während des Schulbesuchs zu im Voraus bestimmten Zeiten 3x täglich - wie von der Krankenkasse bewilligt - nicht. Aufgrund der schwankenden Blutzuckerwerte infolge wechselnder körperlicher Aktivitäten, unregelmäßigem Tagesrhythmus und Infekten bestehe die Notwendigkeit einer jederzeitigen Interventionsmöglichkeit. Folglich benötige der Antragsteller auch während des Schulbesuchs eine ständige Beobachtung, damit in den jeweiligen, unvorhersehbar auftretenden Situationen die geeigneten Maßnahmen ergriffen werden könnten, um Über- und Unterzuckerungen zu vermeiden. Hierzu sei der Antragsteller wegen seines Alters selbstständig und ohne Hilfe derzeit noch nicht in der Lage. Die Köperwahrnehmung sei alters- und entwicklungsentsprechend eingeschränkt. Zudem würden die Blutzuckermessung und Anpassung der Insulingabe beim Antragsteller während des Schulbesuchs täglich zu unregelmäßigen Zeiten erforderlich. Wegen der Gefahr von gesundheitlichen Komplikationen sei die engmaschige Beobachtung der gesundheitlichen Situation des Antragstellers notwendig.

Das Sozialgericht hat hingegen nicht die Stadt als leistungspflichtig angesehen. Bei der beantragten Leistung handle es sich nicht um eine Leistung der Eingliederungshilfe als Hilfe zur angemessenen Schulbildung. Leistungen der häuslichen Krankenpflege hätten kurativen Charakter. Diese Leistungen erfolgten, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich seien. Da der Antragsteller auch während der außerschulischen Zeit der ständigen Überwachung und ggf. Intervention bedürfe und diese durch seine Eltern sichergestellt werde, stelle die beantragte Leistung eine Sicherungspflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege dar. Die beantragte Leistung sei nicht dem Bereich der Teilhabe zuzuordnen, da sie nicht der Bewältigung der Anforderungen des Schulalltags diene. Zudem handle es sich um einen einheitlichen Leistungsfall, der nicht künstlich in zwei Begehren (Blutzuckermessung und Insulingabe einerseits und Schulbegleitung andererseits) aufgesplittet werden könne. Die Leistungserbringung habe aus einer Hand zu erfolgen.

Sozialgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 3. November 2025, Az.: S 14 KR 445/25 ER (rechtskräftig).

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Hinweise zur Rechtslage

Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Nach § 37 Abs. 2 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Behandlungssicherungspflege).

Nach § 112 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfassen Leistungen zur Teilhabe an Bildung 1. Hilfen zu einer Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt, und 2. Hilfen zur schulischen oder hochschulischen Ausbildung oder Weiterbildung für einen Beruf.

2Die Hilfen nach Satz 1 Nummer 1 schließen Leistungen zur Unterstützung schulischer Ganztagsangebote in der offenen Form ein, die im Einklang mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule stehen und unter deren Aufsicht und Verantwortung ausgeführt werden, an den stundenplanmäßigen Unterricht anknüpfen und in der Regel in den Räumlichkeiten der Schule oder in deren Umfeld durchgeführt werden. 3Hilfen nach Satz 1 Nummer 1 umfassen auch heilpädagogische und sonstige Maßnahmen, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, der leistungsberechtigten Person den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern.

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