Sozialgericht Frankfurt am Main

Leistungskürzung wegen fehlender Mitwirkung eines ausreisepflichtigen Ausländers

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Kreisordnungsamt darf Erklärung zur Ausreise in das Heimatland für die Ausstellung eines Passes fordern

Der Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste 2016 in die Bundesrepublik ein und stellte einen Asylantrag. Dieser wurde abgelehnt und die Abschiebung angedroht. Das zuständige Amt für Sicherheit und Ordnung, Migration und Integration (Kreisordnungsamt) teilte dem Antragsteller mit, dass er zur Ausreise verpflichtet sei. Abschiebemaßnahmen wurden wegen fehlender Reisedokumente mangels Mitwirkung des Antragstellers nicht eingeleitet. Der Antragsteller bezieht seit 2016 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und ist in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Das Kreisordnungsamt kürzte in der Folge die Leistungen, da der Antragsteller weder einen Passantrag ausgefüllt, noch einen Nachweis vorgelegt habe, dass er einen entsprechenden Antrag beim Generalskonsulat gestellt habe. Mit seinem Eilantrag begehrt der Antragsteller höhere Leistungen. Die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung sei nicht zumutbar, da er nicht freiwillig in sein Heimatland zurückkehren wolle.

Sozialgericht: Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung

Das Sozialgericht hat den Eilantrag überwiegend abgelehnt. Es hat ausgeführt, dass die Rechtsordnung es dem Ausländer zumute, seiner Ausreisepflicht von sich aus nachzukommen. Die gesetzliche Ausreisepflicht schließe die Obliegenheit für den Ausländer ein, sich auf die Ausreise einzustellen, zur Ausreise bereit zu sein und einen dahingehenden Willen zu bilden. In diesem Rahmen sei es für einen ausreisepflichtigen Ausländer grundsätzlich rechtlich nicht unzumutbar, zur Ausreise nicht nur willens und bereit zu sein, sondern diese Bereitschaft auch zu bekunden und eine Erklärung dahin abzugeben, freiwillig in das Herkunftsland ausreisen zu wollen. Ein entgegenstehender innerer Wille des Ausländers, der die Erklärung als unwahr empfinde, sei aufenthaltsrechtlich regelmäßig unbeachtlich. Der Ausländer sei nicht dazu gezwungen, die Freiwilligkeitserklärung als unwahre Bekundung bzw. als Lüge abzugeben. Die Freiwilligkeit könne in dem Sinne erklärt werden, dass der betroffene Ausländer ausreisepflichtig sei und er dieser Pflicht nachzukommen gedenke, um der zwangsweisen Abschiebung zuvor zu kommen.

Das Sozialgericht hat verdeutlicht, dass nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens grundgesetzlich absolut geschützt sei. Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger müsse vielmehr jedermann staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes getroffen würden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigten. Die Abgabe einer solchen Freiwilligkeitserklärung beeinträchtige nicht diesen unantastbaren Lebensbereich, zumal das Verhalten des Antragstellers widersprüchlich sei. Einerseits verweigere er die Passbeschaffung mangels Abgabe der Freiwilligkeitserklärung und andererseits berufe er sich darauf, dass die Voraussetzungen für eine Leistungskürzung nicht vorlägen, obwohl er die Ausstellung des Passes selbst in den Händen habe und das Fehlen eines Passes, Passersatzes oder Rückreisedokuments als den Grund, der seine Ausreise hindert, selbst zu vertreten habe.

Schließlich hat das Sozialgericht dem Eilantrag bei der Leistungshöhe geringfügig stattgegeben, weil ein gemeinsames Wirtschaften des Antragstellers mit anderen Bewohnern der Gemeinschaftsunterkunft nicht ersichtlich gewesen sei. Das Existenzminimum sei gewährleistet. Höhere Bedarfe könne der Antragsteller im Einzelfall nachweisen.

Sozialgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. April 2022, Az.: S 30 AY 8/22 ER, nicht rechtskräftig.

Die Entscheidung ist unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de eingestellt.

Hinweise zur Rechtslage

§ 1 Absatz 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)

Leistungsberechtigt nach diesem Gesetz sind Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die (…)

4. eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen,
5. vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist.

§ 1b AsylbLG

Absatz 1: 1Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 5, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, haben ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden. 2Ihnen werden bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt. 3Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen auch andere Leistungen im Sinne von § 3 Absatz 1 Satz 1 gewährt werden. 4Die Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden.

(…)

Absatz 3 Satz 1: Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, erhalten ab dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag nur Leistungen entsprechend Absatz 1.

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