Hessisches Landessozialgericht Darmstadt

Sozialwahlen 2017 für ungültig erklärt

Nr. 01/2022

Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) hat Altersrentenbezieher zu Unrecht von der Wahl ausgeschlossen

Die in der Gruppe der Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte sowie in der Gruppe der Arbeitgeber im Jahr 2017 durchgeführten Wahlen zur Vertreterversammlung der SVLFG wurden lediglich in der Unfallversicherung durchgeführt. Dadurch wurden insbesondere Personen, die eine Altersrente der Altersversicherung der Landwirte beziehen und nicht bei der SVLFG unfallversichert sind, von den Wahlen ausgeschlossen.  Die Wahlen sind daher ungültig und müssen wiederholt werden. Dies entschied der 9. Senat des Hessischen Landessozialgerichts in drei Verfahren.

Arbeitgeber, Selbstständige und Jagdverbände fechten Wahlen an

Im Jahr 2017 wurden die Wahlen zur Vertreterversammlung der SVLFG durchgeführt. Im Juli 2017 erhoben mehrere Selbstständige ohne fremde Arbeitskräfte, die bei der Wahl kandidierten sowie Jagdverbände und ein Arbeitgeber, die Vorschlagslisten eingereicht hatten, Wahlanfechtungsklagen beim Sozialgericht. Sie vertraten die Auffassung, dass nicht nur die Bezieher einer gesetzlichen Unfallrente in der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft wahlberechtigt seien, sondern auch die Bezieher von anderen Renten der SVLFG wie z.B. der Regelaltersrente. Dies habe die SVLFG verkannt und daher den Begriff der Rentenbezieher falsch ausgelegt. Mit der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2013 sei ein einheitlicher Träger der Sozialversicherung in der Landwirtschaft errichtet worden. Seitdem seien die Versicherten in allen Zweigen wahlberechtigt. Die SVLFG führte dagegen an, dass mit der Gesetzesänderung das Sozialwahlverfahren nicht habe verändert werden sollen. Das Sozialgericht hat die Klagen abgewiesen. Die Kläger haben Berufung eingelegt.

Landesozialgericht stellt Wahlfehler fest und erklärt die Wahlen für ungültig

Das Landessozialgericht hat nunmehr die erstinstanzlichen Urteile aufgehoben und die Wahlen für ungültig erklärt. Die auf die Unfallversicherung beschränkte Durchführung der Wahlen habe gegen das aktive und passive Wahlrecht verstoßen. Hierdurch sei ein erheblicher Teil von Wahlberechtigten vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen worden.

Bis zum 31. Dezember 2012 sei die Beschränkung der Sozialversicherungswahl in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung auf die gesetzliche Unfallversicherung rechtmäßig gewesen. Mit der gesetzlichen Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung sei die SVLFG geschaffen worden. Diese sei seitdem zuständig für die Durchführung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, der Alterssicherung der Landwirte sowie der landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Unter den Begriff Rentenbezieher fielen seitdem nicht ausschließlich die Rentner aus der Unfallversicherung.

Der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz, der auch für Sozialversicherungswahlen gelte, verbiete jedoch einen willkürlichen Ausschluss einer quantitativ nicht unbedeutenden Gruppe von den Wahlen.

Der Wahlfehler sei auch mandatsrelevant. Durch ihn werde eine erhebliche Zahl von Altersrentnern vom Wahlrecht ausgeschlossen. Es sei möglich, dass die Sitzverteilung ohne diesen Fehler anders ausgefallen wäre bzw. eine abgelehnte Vorschlagsliste hätte zugelassen werden müssen.

(Az. L 9 U 173/18, L 9 U 174/18 und L 9 U 175/18 – Die Revision wurde jeweils zugelassen.
Die Urteile sind unter www.lareda.hessenrecht.hessen.deÖffnet sich in einem neuen Fenster ins Internet eingestellt.)

Das Bundessozialgericht hat am 13.10.2022 der Revision stattgegeben und die Sozialwahlen für gültig erklärt (B 2 U 6/22 R).

Hinweise zur Rechtslage

§ 44 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV)

(1) Die Selbstverwaltungsorgane setzen sich zusammen (…)
2. bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau je zu
einem Drittel aus Vertretern der versicherten Arbeitnehmer (Versicherten), der
Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte und der Arbeitgeber, (…).

§ 47 SGB IV

(2) Zur Gruppe der Arbeitgeber gehören
1. die Personen, die regelmäßig mindestens einen beim Versicherungsträger versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen (…)
(3) Zur Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte gehören bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau
1. die versicherten Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte und ihre versicherten Ehegatten oder Lebenspartner; dies gilt nicht für Personen, die in den letzten zwölf Monaten sechsundzwanzig Wochen als Arbeitnehmer in der Land- oder Forstwirtschaft unfallversichert waren,
2. die Rentenbezieher, die der Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der versicherten Tätigkeit angehört haben.
(5) Rentenbezieher im Sinne der Vorschriften über die Selbstverwaltung ist, wer eine Rente aus eigener Versicherung von dem jeweiligen Versicherungsträger bezieht.

§ 50 SGB IV

(1) Wahlberechtigt ist, wer (…)
1. bei dem Versicherungsträger zu einer der Gruppen gehört, aus deren Vertretern sich die Selbstverwaltungsorgane des Versicherungsträgers zusammensetzen, (…)

§ 51 SGB IV

(1) Wählbar ist, wer (…)
1. bei dem Versicherungsträger zu einer der Gruppen gehört, aus deren Vertretern sich die Selbstverwaltungsorgane des Versicherungsträgers zusammensetzen,
(…)

§ 57 SGB IV

(2) Die in § 48 Absatz 1 genannten Personen und Vereinigungen, der Bundeswahlbeauftragte und der zuständige Landeswahlbeauftragte können die Wahl durch Klage gegen den Versicherungsträger anfechten.

§ 32 SGB IV (gültig bis 31.12.2012)

Organe der landwirtschaftlichen Krankenkassen und der landwirtschaftlichen Alterskassen sind die Organe der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, bei denen sie errichtet sind.

§ 131 Sozialgerichtsgesetz (SGG)

(4) Hält das Gericht eine Wahl im Sinne des § 57b (…) ganz oder teilweise oder eine Ergänzung der Selbstverwaltungsorgane für ungültig, so spricht es dies im Urteil aus und bestimmt die Folgerungen, die sich aus der Ungültigkeit ergeben.

Art. 3 Grundgesetz (GG)

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich

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