Hessisches Landessozialgericht Darmstadt

Anzahl anhängiger Rechtsstreitigkeiten deutlich reduziert

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Nr. 05/2024

Jahresbilanz der hessischen Sozialgerichtsbarkeit

Sozialgerichte konnten erneut die Anzahl anhängiger Rechts­streitig­keiten deutlich reduzieren

Die hessischen Sozialgerichte haben im vergangenen Jahr 19.130 Verfahren erledigt. Das übertrifft die Anzahl der im gleichen Zeitraum neu eingegangenen Verfahren deutlich. Dies ist ein sehr beachtliches Ergebnis und unterstreicht in besonderem Maße die Leistungsfähigkeit der hessischen Sozialgerichtsbarkeit.

„Hierzu beigetragen hat vor allem der engagierte Einsatz aller Beschäftigten. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gilt mein besonderer Dank“, betonte der seit dem 15. April 2024 amtierende Präsident des Hessischen Landessozialgerichts Dr. Wilhelm Wolf anlässlich der Vorstellung der Jahresbilanz.

17.198 neue Klage- und Eilverfahren im Jahr 2023

Im vergangenen Jahr sind 17.198 neue Klage- und Eilverfahren an den hessischen Sozialgerichten eingegangen - gegenüber 18.593 neuen Verfahren im Jahr 2022 ein Rückgang. Beim Landessozialgericht sind mit 1.729 neuen Berufungs- und Beschwerdeverfahren sowie erstinstanzlichen Verfahren für das Jahr 2023 ebenfalls weniger Verfahren zu verzeichnen (2022: 1.846 Verfahren).

Anzahl anhängiger Verfahren an den Sozialgerichten um 7 % reduziert

An den Sozialgerichten sind im vergangenen Jahr 19.130 Verfahren durch gerichtliche Entscheidungen sowie Anerkenntnisse, Rücknahmen und Vergleiche seitens der Verfahrensbeteiligten beendet worden. Dadurch konnte die Anzahl anhängiger Verfahren von 29.061 (Ende 2022) auf 27.120 (Ende 2023) und damit um 7 % erneut maßgeblich reduziert werden. Am Landessozialgericht wurden 1.668 Verfahren erledigt, so dass Ende 2023 noch 2.151 Verfahren anhängig waren. „Dies ist eine sehr erfreuliche Entwicklung“, so Präsident Dr. Wolf.

Zunahme in den Bereichen Grundsicherung und Schwerbehindertenrecht

Die Verfahren in den sozialversicherungsrechtlichen Rechtsgebieten sind insgesamt rückläufig. Im Krankenversicherungsrecht – dem Rechtsgebiet mit den meisten Klageverfahren – sind im vergangenen Jahr 3.415 neue Verfahren eingegangen (2022: 4.703). Im Rentenversicherungsrecht waren 2.059 Verfahren (2022: 2.159 Verfahren), im Unfallversicherungsrecht 883 neue Verfahren (2022: 908) und im Arbeitsförderungsrecht 1.240 neue Verfahren (2022: 1.503) zu verzeichnen.

Zugenommen haben hingegen die Verfahren in den Bereichen Schwer­behinderten­recht: 2.660 neue Verfahren (2022: 2.411), Grundsicherung für Arbeit­suchende (Bürgergeld, vormals Hartz IV): 3.465 neue Verfahren (2022: 3.425) sowie im Bereich Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Sozialhilfe) einschließlich Asylbewerberleistungsgesetz: 1.429 neue Verfahren (2022: 1.288).

„Wie sich die weitere Entwicklung auch vor dem Hintergrund dieser teilweise gegenläufigen Tendenzen in den einzelnen Verfahrensarten gestalten wird, ist derzeit nicht sicher vorhersehbar,“ resümierte Dr. Wolf.

Coronabedingte Verfahren vor den Sozialgerichten

Auch im vergangenen Jahr sind bei den hessischen Sozialgerichten zahlreiche corona­bedingte Verfahren eingegangen. Streitig ist dabei unter anderem die Rückforderung von Kurzarbeitergeld, aber auch die Anerkennung von Long Covid als Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit sowie die Entschädigung von Impfschäden. Zahlreiche Verwaltungsverfahren in diesen Bereichen sind nicht abgeschlossen, so dass weitere Gerichtsverfahren zu erwarten sind. So sind in Hessen von den 918 Anträgen auf Entschädigung von Impfschäden nach einer Corona-Impfung mehr als zwei Drittel (666) abgelehnt worden. In 310 Fällen wurde hiergegen Widerspruch eingelegt. Gegen die 245 ablehnenden Widerspruchsbescheide sind bislang 117 Klagen bei den hessischen Sozialgerichten eingereicht worden, berichtete die Pressesprecherin des Hessischen Landessozialgerichts Dr. Jutta Mauer.

Steigende Eingangszahlen erwartet

„Schon in Kraft getretene Gesetzesänderungen (wie z.B. Bürgergeld und Soziales Entschädigungsrecht - SGB XIV), die Realisierung bereits avisierter Gesetzesvorhaben (wie z.B. Kindergrundsicherung) und schließlich die Umsetzung aktueller weitreichender Reformdebatten u.a. auch zu Fragen der Alterssicherung in entsprechenden Regelwerken lassen erwarten, dass viele neue rechtliche Fragen die Sozialgerichte zukünftig beschäftigen werden“, so die Prognose von Dr. Wolf.

Der Weg in die digitale Welt   –   bei laufendem Justizbetrieb

Die hessische Sozialgerichtsbarkeit hat sich bereits vor 10 Jahren auf den Weg in die digitale Welt gemacht. Seit April 2023 ist die elektronische Akte flächendeckend im Einsatz. Seit Juni 2023 werden alle neuen Verfahren an den hessischen Sozialgerichten sowie am Hessischen Landessozialgericht ohne Papierakte geführt. Sie nimmt nach und nach ihren Abschied und wird durch die elektronische Akte ersetzt.

Die Justiz hat bei der Digitalisierung gesteigerte Anforderungen zu beachten. Sensible Daten sind zum Beispiel nicht nur vor unberechtigtem Zugriff zu schützen, sondern auch über lange Zeit vor Veränderung zu sichern. Absender und Adressaten müssen rechtssicher feststellbar sein. Die weit verbreiteten Kommunikations- und Speichermedien, wie etwa E-Mail oder öffentlich-standardisierte Cloud-Dienste, sind in einem Gerichtsverfahren nicht adäquat.

Die hessische Sozialgerichtsbarkeit hat die neue Software für die elektronische Akte zunächst am Sozialgericht Kassel und am Hessischen Landessozialgericht pilotiert. Mittlerweile läuft die Software zuverlässig und wird im Regelbetrieb Tag für Tag an allen hessischen Sozialgerichten genutzt.

Während des „Umzugs in die digitale Welt“ und der damit verbundenen Veränderungen von Arbeitsabläufen läuft der Justizbetrieb in vollem Umfang weiter. Dass dies gelingt, zeigt die außerordentliche Einsatzbereitschaft der Beschäftigten - insbesondere im nichtrichterlichen Bereich. Die Notwendigkeit, über mehrere Jahre parallel alte Papier- und neue E-Akten nebeneinander zu führen, ist nur ein Beispiel für die zusätzliche Belastung.

Die hessische Sozialgerichtsbarkeit ist in der digitalen Welt angekommen. Manche Umzugskartons sind noch auszupacken, manch Überkommenes bleibt auszusortieren und das digitale Büro ist weiter einzurichten. Doch viel ist auch schon erreicht. Obgleich sich manche mit der elektronischen Aktenführung verbundenen Vorteile für die Beschäftigten erst zukünftig zeigen werden, stellen diese sich der herausfordernden Aufgabe erfolgreich. „Ich bin sehr dankbar für dieses außerordentliche Engagement aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und freue mich sehr über die große Bereitschaft der Beschäftigten, zur Modernisierung der Justiz beizutragen“, betonte Präsident Dr. Wolf.

Damit den Weg zum papierlosen Büro weiterhin alle mitgehen können, sind die Belange der Beschäftigten zu beachten. Gesunde Arbeitsbedingungen sind elementar. Der ergonomische Arbeitsplatz ist dabei nur ein Baustein. Die Auswirkungen der mit der ausschließlich elektronischen Aktenführung einhergehenden Arbeitsweise auf die körperliche und psychische Gesundheit müssen im Auge behalten werden. Dies gilt für die Richterinnen und Richter wie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des nichtrichterlichen Dienstes gleichermaßen. Die Sozialgerichtsbarkeit widmet darum den spezifischen psychischen Belastungen am Arbeitsplatz mit einem qualifizierten Projekt des Arbeitsschutzes besonderes Augenmerk.

Aufgrund der anfänglichen Einarbeitungsphase sowie der Anpassung der internen Abläufe im Umgang mit der elektronischen Akte sind für eine Übergangsphase Verfahrensverzögerungen nicht gänzlich zu vermeiden gewesen. Langfristig sind jedoch Zeiteinsparungen zu erwarten. Zudem wird das mobile Arbeiten in großem Umfang ermöglicht.

„Auf welche Weise die Digitalisierung die Justiz zukünftig verändern wird, ist noch kaum abzusehen. Inwieweit der Einsatz „Künstlicher Intelligenz“ in gerichtlichen Verfahren Einzug hält und die Arbeit der Justiz weiter verändert, bleibt abzuwarten“, führte der Vizepräsident des Hessischen Landessozialgerichts Jürgen De Felice aus.

Generationenwechsel in Richterschaft und nichtrichterlichem Dienst

Die hessische Sozialgerichtsbarkeit steht vor einem großen demographischen Wandel. In den Jahren 2023/2024 waren bzw. sind 12 % der insgesamt 116 Richterplanstellen (in beiden Instanzen) neu zu besetzen: Ein Generationenwechsel. Aktuell sind an den sieben hessischen Sozialgerichten 16 Proberichterinnen und Proberichter sowie ein Richter Kraft Auftrags tätig – das bedeutet 20 % der 84 Richterplanstellen in der ersten Instanz.

In den kommenden 5 Jahren werden 21 % der Beamtinnen und Beamten des gehobenen und mittleren Dienstes voraussichtlich in den Ruhestand treten. In den nächsten 10 Jahren sind es sogar 37 %. Von den angestellten Beschäftigten treten in den kommenden 5 Jahren 10 % in den Ruhestand. Auf die nächsten 10 Jahre bezogen sind es 28 %. Die Nachbesetzung der offenen Stellen insbesondere im nichtrichterlichen Dienst wird in Zeiten des Fachkräftemangels das zentrale Thema für die nächsten Jahre sein.

„Neben der Arbeitsplatzsicherheit im öffentlichen Dienst und der weit fortgeschrittenen Digitalisierung in der hessischen Sozialgerichtsbarkeit werden Personal­ent­wick­lungs­möglichkeiten und eine angemessene Entlohnung auch zukünftig wichtige Kriterien für die Attraktivität der Arbeitsplätze in dieser Gerichtsbarkeit sein“, so Dr. Wolf abschließend.

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